Ladakh – Vergessene Feste, Botschaften im Fels
Autor/en: Hans Weihreter
Verlag: Akademische Druck- und Verlagsanstalt
Erschienen: Graz 2010
Seiten: 192
Ausgabe: Hardcover
Preis: € 34,90
ISBN: 978-3-201-01931-6
Kommentar: Michael Buddeberg, November 2010
Besprechung:
panta rhei – alles fließt – mit dieser philosophischen Grunderkenntnis von Heraklit beginnt Hans Weihreter sein Buch, mit dem er Entdeckungen und Erlebnisse in Ladakh aus den Jahren 1981 und 1982 in Wort und Bild vorstellt. Keine dreißig Jahre sind seither vergangen, doch in diesem kurzen Zeitraum haben sich in dieser einst so entlegenen und kaum bekannten Bergwelt drastische Änderungen vollzogen. War Ladakh Anfang der achtziger Jahre Ziel nur weniger neugieriger und abenteuerlustiger Reisender, die die Unbequemlichkeiten und Mühen, dorthin zu gelangen und dort zu reisen, nicht scheuten, ist es heute mit neu gebauten Straßen und Flugplätzen und der zugehörigen Infrastruktur zum Ort eines immer mehr anwachsenden Tourismus geworden. Zwei gänzlich verschiedene Bereiche sind es, die Hans Weihreter behandelt und beide sind gleichermaßen bedroht. Bei den traditionellen Festen, Pilgerreisen und Ritualen liegt es nahe, dass sie durch touristische Kommerzialisierung ihre Inhalte ändern, verlieren oder ihr ganz zum Opfer fallen, während die im Laufe von Hunderten oder gar Tausenden von Jahren in die Felsen von Ladakh geritzten Petroglyphen weniger gefährdet erscheinen. Doch dem ist nicht so. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich diese von Reisenden, Pilgern aber auch von siedelnden Bauern, Jägern und Mönchen hergestellten Felsbilder an prominenten Reise- und Handelswegen befinden. Doch diese schmalen, Jahrhunderte lang nur von Menschen und Tieren begangenen Pfade, sind heute Orte des Straßenbaus, der auf solch „heidnisches Zeug“ keine Rücksicht nimmt. Viele der von Weihreter 1981 und 1982 dokumentierten Bildsteine sind heute bereits verschwunden oder stark beschädigt. Etwas anderes kommt hinzu: Der weltweite Klimawandel macht auch vor der trockenen Bergwüste Ladakhs nicht Halt. Regen, wo es früher keinen gab und Hochwasser des Indus in einem vordem nicht bekannten Ausmaß sind die Folgen. Tonnenschwere Bildsteine werden durch Hochwasser unterspült und verschwinden für immer, während Regen und Frost dafür sorgen, dass Jahrhunderte alte Felsbilder abplatzen. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Hans Weihreter die von ihm damals sorgfältig sowohl schwarz-weiß wie auch farbig dokumentierten Petroglyphen nunmehr zusammen mit dem Versuch einer Interpretation erstmals vorstellt. Zwar haben der Herrnhuther Missionar Francke ebenso wie der Tibetologe Snellgrove diese Felsbilder schon erwähnt und zum Teil veröffentlicht; wissenschaftlich untersucht wurden sie indessen noch nie. Auch Weihreter maßt sich das nicht an, doch sind seine Ausführungen über Alter, Bedeutung und stilistische Besonderheiten dieser Zeichnungen, über ihre Urheber, deren Werkzeuge und Absichten voller Fragen, Überlegungen und spekulativer Antworten, wie sie stets am Anfang wissenschaftlicher Untersuchung stehen müssen. Eine wesentliche Rolle bei der Frage nach dem Alter solcher Zeichnungen spielt dabei der so genannte „Wüstenlack“, eine Eigenart von Stein und Fels in wüstenartigen Trockenregionen, hervorgerufen durch bestimmte chemische Substanzen, die durch Kapillarwirkung aus dem Inneren der Steine an deren Oberfläche transportiert und dort einen dunklen, lackartigen oft metallisch glänzenden Überzug bilden. Der Vorgang dauert Jahrtausende und das Ergebnis verlockt, wie jedes mehrschichtige Material, zu bildnerischer Gestaltung. Wird die Schicht, etwa durch solche Zeichnungen linienförmig oder flächig verletzt, so geht der Prozess weiter und auch auf den freigelegten Flächen bildet sich neuer Wüstenlack. Das Maß dieser „Repatinierung“ kann für die Altersbestimmung genutzt werden, ist aber wohl streng wissenschaftlich bisher nicht bearbeitet. Die Thematik dieser Felsbilder reicht von Tieren und Jagdszenen, die wohl auf schamanistische, vorbuddhistische Vorstellungen und Rituale gründen bis zu religiösen Darstellungen und Inschriften, hier vor allem Chörten in großer gestalterischer Vielfalt. Die Botschaften im Fels, mögen sie von Reisenden in die Felsen geritzt worden sein, um göttlichen Schutz auf gefährlichen Reisen zu erlangen oder von Jägern, um guten Zauber für die erfolgreiche Jagd oder reiche Nachkommenschaft für die jagdbaren Wildtiere zu beschwören, besitzen historische Bedeutung und es wäre dringend zu wünschen dass Weihreters sorgfältiger Dokumentation eine fundierte wissenschaftliche Bearbeitung nachfolgt. Nicht minder spannend sind die Tagebuchaufzeichnungen und Bilder, die Weihreter von drei Ereignissen mitgebracht hat, an denen er durch Zufall teilhaben konnte. Das war einmal das „Fest der Bogenschützen“ in der ladakhischen Hauptstadt Leh, das im Jahre 1982 nach langer Unterbrechung neu belebt wurde. Es ist ein Fest der „Argoli“, Nachfahren muslimischer Kaufleute aus Yarkand, die es in der ladakhischen Gesellschaft zu Ansehen und Wohlhabenheit gebracht haben, in dem sich Gebräuche, Rituale und Musik aus ganz verschiedenen Regionen des Himalaya und Zentralasiens in sportlichem Wettkampf, unter dem Trommeln von Bettelmusikanten und gemeinsamen Konsum von Gerstenbier zu einem fröhlichen Fest vereinen. Es war ferner das Erlebnis einer Seance bei der „Gottfrau von Sabo“, einer berühmten, inkarnierten Lhamo, deren schamanistisches Ritual mit Weissagung und heilenden Handlungen den nicht für Exorzismus und Vorhersagen empfänglichen Autor immerhin nachdenklich machte. Am schönsten zu lesen und schauen aber ist Weihreters Teilnahme an der Pilgerreise nach Urgyen Dzong, einem nur in einer dreistündigen Bergtour zu erreichenden Hochtal, in dem ein verzweigtes Höhlenlabyrinth und einige Kultbauten ein Heiligtum bilden. Weihreter schloß sich einer Pilgergruppe an und während er beobachtete, wie sich jung und alt auf allen Vieren kriechend und auf schmalen Felsbändern in großer Höhe balancierend von Höhle zu Höhle vorantasteten und dabei enorme Mengen religiöser Verdienste erwarben, fotografierte er Frauen und Kinder in ihren ursprünglichen, farbenfrohen Trachten. Besonders eindrucksvoll sind hier die unvergleichlich schönen und prächtigen perags, der mit schönen Türkisen, Korallen und Amuletten verzierte, reiche Kopfschmuck der Frauen von Ladakh. Danke, Hans Weihreter, dass Sie dieses historische Bildmaterial veröffentlicht haben.